Janine Wissler: Der diskrete Charme der Diktatur

Janine Wissler: Der diskrete Charme der Diktatur


Anstatt sich mit jetzt 63 Jahren langsam auf den Sprung ins SED-Politbüro vorzubereiten, muss Alt-Stalinist Dietmar Bartsch in den kommenden Monaten den Spitzenkandidaten für den Bundestagswahlkampf der Linken geben.

Janine Wissler: Der diskrete Charme der Diktatur

von Wolfgang Meins

Zu allem Überfluss muss er sich diese Position auch noch teilen mit einer der beiden neuen Partei-Vorsitzenden. Genauer: mit Janine Wissler, einer meist ausgesprochen freundlich-charmant lächelnden 39-jährigen Trotzkistin, die ihr Politologie-Studium sogar mit einem Diplom abgeschlossen hat – und das in nur elf Jahren. 

Ihr Austritt aus dem inner- und außerhalb der Linken aktiven trotzkistischen Netzwerk Marx21 erfolgte erst vor kurzem und ohne jede Distanzierung, war also rein wahltaktisch bestimmt. Bei der Liaison von Bartsch und Wissler sind wir also auch Zeuge einer bescheidenen Groteske. Denn seit dem Bruch zwischen Stalin und Trotzki sind die entsprechenden politischen Strömungen bekanntlich zutiefst miteinander verfeindet. Wer fest an den Sieg des Sozialismus glaubt, könnte also jetzt darauf wetten, wer von beiden nach der Revolution wen in den Gulag sperren wird. 

Wie konnte es zu dieser speziellen Art innerparteilicher Kooperation kommen, zumal die Trotzkisten weltweit eigentlich nie – und in Deutschland schon gar nicht – über ein Sektenstadium hinausgekommen sind? Zum einen ist das zweifellos der personellen und politischen Auszehrung des klassischen SED-Milieus im Osten und seiner Anhänger im Westen geschuldet. Zum anderen aber auch der Vereinigung der WASG mit der PDS zur Linken – im Jahr 2007. Seitdem müssen die alten Kader eine West-Linke in ihren Reihen erdulden, die zum erheblichen Teil aus Mitgliedern besteht, die sie seinerzeit in der DDR wegen Linksabweichler- und Abenteurertums sofort und dauerhaft aus dem Verkehr gezogen hätten. 

Erleichtert wurde Wisslers Aufstieg zur Parteivorsitzenden und Spitzenkandidatin sicherlich auch dadurch, dass sie sich bei den trotzkistischen Theoretikern von Marx21 immer eher im Hintergrund gehalten hat. Vor allem aber dürfte ihre Tätigkeit als Fraktionsvorsitzende der Linken im Hessischen Landtag etliche Parteikader – nicht nur den hessischen CDU-Generalsekretär – beeindruckt haben. Schließlich wird auch ihre aparte äußere Erscheinung einen Teil beigesteuert haben, die sie nicht schon auf den ersten Blick wie ein personifiziertes SED-Auslaufmodell wirken lässt. 

Irgendeine Erklärung für ein Scheitern findet der Trotzkist immer

Selbst beim bürgerlichen Betrachter dürfte sich während des Anblicks der Genossin Wissler zumindest nicht sofort die gedankliche Assoziation einstellen, sie könne es gar nicht abwarten, sich nach der erfolgreichen proletarischen Revolution möglichst rasch und nachhaltig aller Feinde des Sozialismus zu entledigen. Aber, das lehren sowohl Psychologie als auch Psychiatrie: Vorsicht bei der Beurteilung von Menschen nach ihrem Äußeren! Eine vergleichsweise robustere Basis zur politischen Beurteilung von Wissler ist deshalb zweifellos das trotzkistische Periodikum Marx21. Es erlaubt uns einen Einblick in die Gedankenwelt des revolutionären Sozialismus und damit auch in die Wisslers. 

Der Autor ist sozusagen vom Fach, gehörte er doch selbst, wenngleich mittlerweile vor knapp einem halben Jahrhundert, über fast drei Jahre einer trotzkistischen Organisation an. Allerdings gilt es, diesbezüglich auf mildernde Umstände zu verweisen: meine Jugend, den damals besonders wirkmächtigen Zeitgeist und die Umstände meiner Bekehrung. Niemand Geringeres als der damalige Großmeister des revolutionären Marxismus und baldige FU-Professor für Politische Ökonomie, Ernest Mandel, hatte mich seinerzeit im Audimax der Uni Hamburg restlos überzeugt von Notwendigkeit, Unausweichlichkeit und Segnungen der sozialistischen Revolution. Zumal die in ihrer trotzkistischen Variante keinesfalls zu einer Parteidiktatur wie in der Sowjetunion oder der DDR führen werde, sondern, wie die Trotzkisten bis heute versprechen, zu einer echten Arbeiter- bzw. Rätedemokratie. Bis jetzt hat das bekanntlich noch nie geklappt – und wird es natürlich auch nie –, aber das schreckt Wissler und Genossen nicht ab. Denn irgendeine Erklärung für ein Scheitern findet der Trotzkist immer – sonst wäre er ja keiner. 

Die trotzkistische Organisation meiner frühen Studentenzeit existiert überwiegend nicht mehr. Marx21 steht in der Tradition einer anderen trotzkistischen Linie. Aber diese Feinheiten tun hier nichts zur Sache. Also: Wie ticken deutsche Trotzkisten heutzutage? Die ernüchternde Antwort: Ihr intellektuelles Niveau folgt dem gesellschaftlichen Trend, wurde also über die Jahre deutlich tiefer gelegt. Insbesondere vermisst der geneigte Leser die etwas anspruchsvolleren polit-ökonomischen Analysen. Ansonsten haben sich lediglich Details geändert.

So ist der Ton, wohl der Parteidisziplin gehorchend, im Vergleich zu früher etwas konzilianter geworden: Bartsch wird nicht als Renegat, Reformist, Stalinist oder Arbeiterverräter gebrandmarkt, sondern biedere sich bloß der SPD an. Auffallend schmallippig gibt man sich zum Problemfeld des Übergangs vom Kapitalismus in die sozialistische Rätedemokratie. Die Frage, was mit den Mitgliedern der Gesellschaft passieren soll, die über diese Veränderung wenig bis gar nicht begeistert sind, wird aus naheliegenden Gründen nicht gestellt. Da hatten die Trotzkisten früher weniger Hemmungen. 

Von der Weltrevolution zurück ins Hier und Jetzt

Ansonsten aber löst beim ehemaligen Trotzkisten die Lektüre von Marx21 ein Déjà-vu-Erlebnis nach dem anderen aus: Den immer noch überwiegend männlichen Genossen fällt es unverändert schwer, sich kurz zu fassen. Weiterhin wird die studentische Dominanz der Organisation beklagt und die Verankerung in der Arbeiterklasse angemahnt. Dafür seien die Voraussetzungen gerade jetzt besonders günstig, spitzten sich doch die Widersprüche des hiesigen, aber auch des internationalen Kapitalismus in besonderer Weise zu. Kurz: Die kommende Weltrevolution kündige sich unübersehbar an, vorausgesetzt, man verstehe es, die Zeichen der Zeit richtig zu deuten. 

Von der Weltrevolution zurück ins Hier und Jetzt, zur Genossin Wissler: Für welche politischen Positionen jenseits des Wahlprogramms der Linken steht sie? Die Antworten finden sich jeweils in aktuellen programmatischen Artikeln bei Marx21 (hier und hier). Um mit Corona anzufangen: „Die Corona-Politik in Europa ist gescheitert. Die Politik in Brüssel, Berlin, Wien und Bern ist von Kapitalinteressen geprägt. In Kauf genommen werden hohe Infektionszahlen […] Wir benötigen eine solidarische Pause bis die Infektionszahlen nahe Null liegen.“ Eine klare Ansage – und wie soll es anschließend mit Klimaschutz und Energiewende weitergehen? „Wenn die Automobil- und Ölkonzerne entmachtet werden, kann die gesamte Energie aus regenerativen Quellen wie Sonne, Wasser und Wind gewonnen werden.“ Hoffentlich liest das auch Annalena B. 

Aus irgendwelchen Gründen meiden Wissler und ihre Genossen den Begriff Enteignung, wobei entmachten natürlich auch nicht viel besser klingt. Aber eigentlich handelt es sich bloß um eine durchgreifende Demokratisierung aller Gesellschaftsbereiche: „Als revolutionäre Sozialistinnen und Sozialisten sind wir für eine vollständige Demokratisierung der Gesellschaft, insbesondere der Wirtschaft – wir streiten für eine Rätedemokratie von unten. […] Rätedemokratie ist demokratischer, als die parlamentarische Demokratie je sein wird. […] Im Gegensatz zu dieser ist in einer Rätedemokratie auch die Wirtschaft, der Staatsapparat und die Medien einer beständigen demokratischen Kontrolle durch die Bevölkerung unterworfen. […]: uneingeschränkte Wählbarkeit und jederzeitige Abwählbarkeit der Abgeordneten und sämtlicher hoher Beamtinnen und Beamten.“

Wissler und ihre Kampfgefährten denken dabei natürlich nicht an irgendwelche liberalen oder sozialdemokratischen Kräfte – das Thema hat sich im Laufe der Revolution längst erledigt –, sondern an Leute wie Bartsch und andere Rechtsabweichler, die nach dem Sieg von den revolutionären Massen „abgewählt“ werden. 

Zwanglos auch zum Nahost-Konflikt übergeleitet

Aber es geht den Trotzkisten in der Linken nicht nur um die ganz großen revolutionären Fragen, sondern auch um Solidarität mit einer Gruppe, die gezielt diffamiert werde: „So wird seit Jahren der Islam in der Öffentlichkeit gezielt mit überwiegend negativ besetzten Themen in Verbindung gebracht: Terrorismus, Frauenunterdrückung, Homophobie oder Antisemitismus. Das passiert, obwohl in Deutschland die allermeisten Terrorangriffe auf das Konto des Rechtsterrorismus gehen. Überwiegend sind Menschen muslimischen Glaubens Opfer von Gewalt und nicht Täter.“ 

Ja, das Leben kann schon sehr ungerecht sein. Womit aus trotzkistischer Sicht zwanglos auch zum Nahost-Konflikt übergeleitet werden kann, für dessen Lösung – oder vielleicht besser: Endlösung – ein Rückkehrrecht der „vertriebenen Palästinenser“ unabdingbar sei. Es müsse „ein gemeinsamer, weltlicher und demokratischer Staat geschaffen“ werden, „in dem muslimische, jüdische und christliche Menschen mit gleichen Rechten zusammenleben können. Viele Gegner eines gemeinsamen Staates befürchten Übergriffe der arabischen Bevölkerung. Tatsächlich wird es angesichts der Erfahrungen der letzten Jahrzehnte lange dauern, bis die Wunden verheilt sind und ein vertrauensvolles Zusammenleben möglich ist. Doch je früher dieser Prozess beginnt, desto größer sind die Chancen, dass er erfolgreich zu Ende geführt werden kann.“

Mit diesem Bomben-Vorschlag im Gepäck hat Wissler, sollte es im September zu einer rot-rot-grünen Regierung kommen, doch wohl zumindest den Posten einer Staatsministerin im Auswärtigen Amt so gut wie sicher.  

erschienen auf Achgut


Autor: Achgut
Bild Quelle: Screenshot


Montag, 24 Mai 2021

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